SPIEGEL: Angus Young, Ihr Sänger Brian Johnson musste 2016 während der Tournee aus der Band aussteigen, weil ihm völlige Taubheit drohte. Guns N’Roses-Sänger Axl Rose übernahm damals für die restlichen Konzerte seinen Posten. Dann starb im November 2017 Ihr Bruder, Gitarrist Malcolm Young, mit dem Sie die Band einst gegründet hatten. Mit einem Comeback von AC/DC hat die Rock’n’Roll-Welt kaum noch gerechnet, doch jetzt erscheint ein neues Album. Wie kam es dazu?
Young: Brian Johnson hat mit einer speziellen Technologie große Fortschritte mit seinem Gehör erzielt. Das war der Ausgangspunkt. Cliff Williams, unser Bassist, hatte auch Interesse signalisiert – und dann war da natürlich Phil Rudd. Ihn habe ich tatsächlich erst beim Begräbnis meines Bruders Malcolm wiedergesehen.
SPIEGEL: Ihrem Drummer waren vor einigen Jahren Drogendelikte und die Anbahnung eines Mordes vorgeworfen worden, er musste daraufhin die Band verlassen.
Young: Als er wieder zu uns kam, machte er einen sehr guten Eindruck. Er hatte sich Hilfe gesucht und eine Therapie gemacht; er wirkte fit und in sehr guter Form. Deshalb habe ich letztlich alle kontaktiert, als ich das Gefühl hatte, genug Material für ein neues Album beisammen zu haben.
SPIEGEL: Dachten Sie zwischenzeitlich auch mal daran, AC/DC aufzulösen?
Young: Selbst dann wäre es irgendwie mit AC/DC weitergegangen, allein durch vertragliche Verpflichtungen – und weil die Leute einfach hätten wissen wollen, ob es noch unveröffentlichtes Material gibt, zum Beispiel für ein Compilation-Album. Irgendetwas wäre immer gewesen. Für die Band entscheidend war die Nachricht, dass es Brian besser ging.
SPIEGEL: Wären Sie auch mit einem anderen Sänger erneut auf Tournee gegangen?
Young: Ich weiß nicht. Mein Bruder Malcolm pflegte immer zu sagen: Solange es nach AC/DC klingt, ist es egal, ob nur noch du und ich mit anderen Leuten auf der Bühne stehen. Die Musik ist das Rückgrat dieser Band. Wir sind so geschult darin, auf diese Art und Weise zu spielen und haben immer danach gestrebt, Musik zu veröffentlichen, die eindeutig als AC/DC erkennbar ist.
SPIEGEL: AC/DC gibt es seit fast 50 Jahren, in dieser Zeit ist viel passiert. In den Siebzigerjahren wurden Sie von Konservativen für den vermeintlichen Satanismus von "Highway to Hell" kritisiert, heute ist es eher die junge, progressive Generation, die sich an der sexuellen Deftigkeit ihrer Texte stören könnte. Gab es jemals Überlegungen, auf den jeweils herrschenden Zeitgeist einzugehen?
Young: Nein, aber lustig, dass Sie das fragen. Die einzige Zeit, an die ich mich erinnern kann, die so voller Umbrüche war wie jetzt, waren die Siebzigerjahre. Als wir anfingen, Musik zu machen, veränderte sich die Welt gerade. Vielleicht ermöglichte es überhaupt erst dieser Wandel, dass wir spielen konnten, was wir wollten. Für mich fühlt es sich im Moment fast schon an wie ein Recycling der Debatten jener Zeit. Wir haben uns nie darum gekümmert, was Leute da draußen über uns denken. Das unterscheidet uns von anderen: Wir wollten nicht zahm klingen oder Angst davor haben, irgendetwas zu sagen, auch wenn es provokant ist.
SPIEGEL: Beharrlichkeit, vielleicht auch eine gewisse Dickköpfigkeit, als Erfolgsrezept?
Young: Wie unser früherer Sänger Bon Scott immer sagte: Die einzige Message, die ich zu verkünden habe, ist die Nummer meines Hotelzimmers.
SPIEGEL: Auf Ihrem neuen Album finden sich erneut viele sexuelle Doppeldeutigkeiten: "If you reject me, I’ll take what I want", heißt es zum Beispiel in einem Song. Das könnte man, böswillig, als Vergewaltigungsfantasie lesen.
Young: Aber in diesem Song geht es nun gerade nicht um Sex! Er dreht sich eher darum, dass mir auffiel, wie sehr Leute immer darauf pochen, respektiert zu werden. Aber Respekt muss man sich verdienen, indem man sich behauptet, sich gerade macht. Dieses Ungestüme mochte ich immer schon am liebsten an AC/DC. Alle großen Songs haben diese Jugendlichkeit, nehmen Sie "Wild Thing": Das waren Songs mit Attitude, die sich nicht darum geschert haben, was in der Welt gerade als richtig und korrekt galt. Jeder Titel eine kleine Rebellion, danach haben wir immer gestrebt. Wir wollten uns nie verändern, um dem Zeitgeist zu gehorchen. Dann hätten wir uns ja der Norm angepasst – und es hätte so ausgesehen, als hätten wir es mit Absicht gemacht. Aber all das war nie dazu gedacht, so furchtbar ernst genommen zu werden. Es ging immer auch um Übertreibung.
SPIEGEL: Sie sind im März 65 Jahre alt geworden, denken Sie trotz aller jugendlichen Posen auch manchmal über den Ruhestand nach?
Young: Dafür mag ich das, was ich tue, viel zu gerne. Wenn ich einen Song schreibe und sich dann alle Teile zu einem Ganzen zusammenfügen, ist es manchmal, als würde ich ein Puzzle lösen. Ein Puzzle, bei dem es auch darum geht, wer ich bin.
SPIEGEL: "Power Up", ihr 17. Album, ist eine Hommage an ihren verstorbenen Bruder. Wie lebt sein Geist auf der Platte weiter?
Young: Ich wollte nur Songs auf dem Album haben, die Malcolm mochte und die ihm sehr wichtig waren. Sie stammen alle aus der Zeit vor "Black Ice", dem letzten Album, auf dem Malcolm zu hören ist. Wir hatten so viel Material, dass ich damals zu ihm sagte: Lass es uns einfach fertig machen. Aber Malcolm winkte ab: Ach was, die heben wir fürs nächste Album auf. Aber unglücklicherweise kam es dazu nicht mehr.
SPIEGEL: Wie schreiben Sie neue Songs ohne Ihren Bruder, mit dem Sie jahrzehntelang zusammen komponiert haben?
Young: Ich hatte auch früher immer schon genau im Kopf, was Malcolm gefallen würde. Er war immer mein erstes Publikum, bevor irgendjemand etwas zu hören bekam. Andersherum war es genauso. Manchmal kam auch mein älterer Bruder George dazu…
SPIEGEL: Der Ende 2017, kurz vor Malcolm, ebenfalls verstarb…
Young: Ja, meine Brüder und ich waren sehr eng miteinander. In gewisser Weise sind die beiden auch jetzt noch da, wenn ich Songs schreibe oder Musik spiele. Ich spüre sie die ganze Zeit. Auch im Studio, als wir das neue Album aufnahmen: Man konnte Malcolms Präsenz fühlen, er war da. Ich merke es auch daran, dass ich mich beim Gitarrespielen ständig nach ihm umdrehe.
SPIEGEL: Ihre Tournee wurde wegen der Corona-Pandemie verschoben. Freuen Sie sich darauf, wieder live aufzutreten?
Young: Ja, natürlich. Bevor das Virus ausbrach, hatten wir sehr gehofft, ein paar Konzerte spielen zu können. Drücken Sie die Daumen, dass es bald gehen wird! Vielleicht inspiriert unser Album ja irgendein Medizinergenie dazu, ein Gegenmittel zu finden.
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